Passage de relais beim Historikerinnennetzwerk. Rückblick und Ausblick

Die GV des Netzwerks im Januar 2022 veranlasste uns dazu, Bilanz über unser junges Netzwerk zu ziehen. Inspiriert von vielen Diskussionen mit Mitgliedern, ist der folgende Diskussionsbeitrag das Ergebnis mehrerer Gespräche zwischen Rachel Huber (abgetretene Co-Präsidentin) und Zoé Kergomard (neue Co-Präsidentin, zusammen mit Claire Blaser) – mitunter bei einem Kaffee im Lichthof der Universität Zürich. 

Zoé: Liebe Rachel, du hast das Netzwerk 2019 gegründet. Könntest du uns bitte erzählen, was dich dazu inspiriert hat?

Rachel: Einerseits stellte ich in meinem eigenen Forschungsalltag an der Uni fest, dass ich als Frau keine Vorbilder und Förder*innen hatte. Weil ich von Männern umgeben war, wünschte ich mir andererseits weibliche Sparring-Partnerinnen. Mir fehlte ein weibliches Umfeld, ein Team mit Frauen. Laut der damals aktuellen Statistik waren 2018 gerade mal 20 Prozent der Schweizer Lehrstühle mit Frauen besetzt. Ich war daher der Ansicht, es sei an der Zeit für ein Frauennetzwerk in den Geschichtswissenschaften.

Meine Vorbilder fürs Netzwerk fand ich unter anderem in der Lektüre von Iris Bohnet, der Schweizer Harvard-Professorin, die zu Verhaltensökonomie forscht. Nicht nur sie, auch andere Forscher*innen, die sich damit befassen, wie auch Frauen an wichtige Positionen kommen können, empfehlen an erster Stelle, sich zu vernetzen. Männer tun dies ja seit Jahrtausenden. Lange Zeit wurden die guten Jobs im Militär vergeben. Mir ging es ganz pragmatisch darum, Frauen in den Geschichtswissenschaften innerhalb und ausserhalb von Academia zu vernetzen. Ich recherchierte viel zu Frauennetzwerken in der Privatwirtschaft. Auch dort fand ich Vorbilder.

Franziska Schutzbachs Überlegungen zum Phänomen der Homosozialität waren gleichermassen inspirierend. Die Homosozialität beschreibt das Verhalten von Personen, die sich mit solchen gleichen Geschlechts umgeben. Das spezifische Verhalten gegenüber Gleichgeschlechtlichen ist an sich unproblematisch. Da aber aufgrund der historisch androzentrisch gewachsenen Gesellschaft nur Männer Politik, Wirtschaft und Wissenschaft machen und nach wie vor mehrheitlich die Stellen besetzen, auf denen sie Handlungsmacht haben, wird Homosozialität zum Problem für Frauen. Diese Männer umgeben sich mit Männern, ziehen Männer nach und fördern Männer. 

Zoé: Und deshalb hattest du also die Idee, einen Netzwerk für Historikerinnen zu gründen?

Rachel: Ja genau, das reine Frauennetzwerk ist ein probates Mittel für Frauen, um auf wichtige Stellen zu kommen. Männliche Netzwerke gibt es schon seit Jahrtausenden, darin befinden sich die Eliten, die Machthaber. In ihnen wird die Macht verteilt. Frauen hatten lange systematisch keinen Zugang dazu. Diese Boy’s Clubs existieren heute noch und auch die Homosozialität ist eine zähe Realität. Statt zu versuchen einen Platz am Männer-Tisch zu bekommen, erschien es mir daher sinnvoller, sich nicht nur einen eigenen Tisch zu machen, sondern gleich ein eigenes Haus zu bauen. Die amerikanische Regisseurin Ava du Vernay sagte das einmal. Das hat mir sofort eingeleuchtet. Es war für mich deswegen klar, ein Frauennetzwerk zu machen. Hätte man ein geschlechteroffenes Netzwerk gemacht, wären die sozialen Phänomene, welche eine Gleichstellung verhindern, geblieben. 

Wir wollten deshalb ein Netzwerk für Historikerinnen* sein. Mit diesem Sternchen signalisierten wir bei der Gründung, dass es uns um die Inklusion von allen Personen geht, die aufgrund ihres sozialen Geschlechts unter Sexismus leiden und vom Boy’s Club ausgeschlossen sind. Weil die Diskussion um die sprachlichen Mittel dieser Inklusion seitdem weiterlaufen, bleibt es im Netzwerk eine offene Reflexion und wir freuen uns auf neue Inputs.

Rachel: Und du Zoé, was war deine Motivation, beim Historikerinnennetzwerk mitzuwirken?

Zoé: Mich begeisterte zunächst die Idee, Historikerinnen egal mit welchem Status, aus welchem Berufsfeld, mit welchen Forschungsthemen oder mit welcher politischen Orientierung zu vernetzen. Ich habe einen nichtlinearen Werdegang, quasi als électron libre zwischen mehreren Ländern, Sprachen und Disziplinen, was sicherlich Vor-, aber auch Nachteile mit sich bringt. Ich habe deshalb bereits früh Kontakte und Netzwerke geschätzt, und dabei bemerkt, dass es oft mit Frauen, gerade jungen Nachwuchsforscherinnen, gut funktionierte. Ich wäre ohne diese wohlwollende Bubble nicht weitergekommen. In diesen Frauenkontexten konnte ich freier atmen, während ich in meinem männerdominierten Forschungsfeld (politische Geschichte) den Druck spüre, mich ständig beweisen zu müssen. Ich habe auch von einigen inspirierenden Vorbildern und Mentor*innen (darunter dank des tollen westschweizerischen Mentoringsprogramms) unglaublich viel gelernt, Kraft geschöpft und Selbstsicherheit gewonnen.

Nun, da ich in meiner wissenschaftlichen Karriere weiter bin, freue ich mich sehr darüber, meine Erfahrungen mit jüngeren Historikerinnen zu teilen. Statt Boy’s Club, homosoziale Kooptation und als Ergebnis davon intellektuellen Konformismus hinzunehmen, können wir uns dank Projekten innerhalb des Netzwerks wohlwollend darin unterstützen, eine eigene Stimme zu entwickeln – so meine Hoffnung jedenfalls. Seit einigen Jahren traue ich mir auch immer mehr, Stellung zum Alltagssexismus in der Wissenschaft zu beziehen. Ich habe auch einige Jahre in Frankreich verbracht, da haben mich die Aktionen von Historikerinnen gegen Sexismus in den Geschichtswissenschaften (beginnend mit den Rendez-vous de l’histoire in Blois) sehr inspiriert. Auch ich wollte mich in einem Kollektiv mehr für Gleichstellung einsetzen, insofern ist das Netzwerk genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Leben getreten! 

Inspirierend und ernüchternd zugleich finde ich dabei all die Diskussionen, die zu diesem Problem schon in der Schweiz stattgefunden haben. Soziolog*innen, die zu akademischen Karrieren forschen, zeigen z.B. die limitierte Wirkung der verschiedenen gleichstellungspolitischen Massnahmen an schweizerischen Universitäten (unter anderem in den Mentoringsprogrammen) auf, solange die Rekrutierungsmechanismen und die geschlechterblinden meritokratischen Kriterien die gleichen bleiben. In diesem Sinne formulierte auch eine Arbeitsgruppe innerhalb der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte anlässlich des feministischen Streiks 2019 eine Reihe an Forderungen zur Stellenpolitik, aber auch zur Forschungskultur. Diese Forderungen zielen darauf ab, Handlungsmöglichkeiten zu etablieren, die die Geschlechterungleichheiten in den Blick nehmen.

Schon die Pionierinnen der Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Schweiz und in anderen Ländern haben analysiert, wie Frauen von der Geschichte als Berufs- und Wissensfeld ausgeschlossen wurden, weshalb Geschichte sich um einen als universell vorgestellten, aber eigentlich androzentrischen Blick entwickelt hat. Sie machten damit auch sichtbar, wie sehr diese strukturellen Ungleichheiten die Wissensproduktion bis heute prägen: wer und damit auch welche Perspektive(n), beziehungsweise welche Professur, Forschungsmittel erhält, oder auch nur eingeladen, zitiert wird. In diesem Bezug bin ich dank Claire Blaser auf einen tollen Text von Brigitte Studer zum Geschlecht der Geschichte gestossen, den sie für die 10. Schweizerische Historikerinnentagung vom Februar 2004 an der Universität Fribourg verfasst hat. Heute diskutiert insbesondere die Wissens- und Wissenschaftsgeschichte diese Dynamiken vermehrt aus einer internationalen, intersektionalen und dekolonialen Perspektive. Diese Fragen haben nichts von ihrer Relevanz verloren, sodass wir heute noch fragen können, wie wir die Schweizer Geschichte gleichwohl entkolonisieren wie auch demaskulinieren können.

Zoé: Wir haben in den letzten Monaten viel über diese Erfahrung der Historikerinnentagungen gesprochen, z.B. bei der Generalversammlung Ende Januar mit Nathalie Imboden. Was hat dich dabei besonders inspiriert?

Rachel: Bei der Vorbereitung zu diesem Input von Natalie Imboden habe ich ein Interview des Zeitschrift Rosa mit einigen Initiatorinnen der Historikerinnentagungen (Brigitte Schnegg, Heidi Witzig, Elisabeth Doris) aus dem Jahr 2002 gefunden. Darin erzählten sie abwechslungsweise über die Entstehung, den Zweck und die Rezeption der Historikerinnentagungen. Erstaunlich war ja, dass diese Frauen eigentlich die Begründerinnen der institutionalisierten Gender studies in der Schweiz waren, im männlich dominierten Umfeld von damals aber darum kämpfen mussten, ernst genommen zu werden – und es immer noch müssen! Ich habe jüngst in einer Diskussion mit anderen Historiker*innen mitbekommen, dass der Verdienst von Witzig nicht adäquat erkannt wurde. Aus dem Interview mit den Initiatorinnen der Historikerinnentagungen ging hervor, dass diese Tagungen auch eine Netzwerkfunktion hatten: Wissen über Frauen- und Geschlechtergeschichte wurde tradiert, Wissenschaftlerinnen bekamen eine Plattform und man erfuhr, welche anderen Frauen zu einem ähnlichen Thema forschen und konnte sich so zusammenschliessen, Ressourcen und Synergien nutzen. Gemäss dieses Interviews fand Anfang 2002 die letzte Tagung statt. Es ist uns noch nicht klar, warum dieser Prototyp eines Frauennetzwerkes in den Schweizer Geschichtswissenschaften in dieser Form nicht mehr weiterexistierte. 

Zoé: Aus dieser Erfahrung der Historikerinnentagungen haben wir genau die Hoffnung, dass wir für uns inspierierende Räume schaffen können. Wie siehst du die Zukunft für unseres Netzwerk? Was können wir als Netzwerk anbieten?

Rachel: Das Netzwerk muss imho pragmatisch bleiben und jenseits von Forschungsthemen und Spezialisierungen in erster Linie der Vernetzung aller Historikerinnen verpflichtet sein. Dazu müssen wir immer mehr Netzwerkinstrumente konzipieren. Die Zukunft ist offen. Nach mehr als zwei Jahren haben wir herausgefunden, was Bedürfnisse in der Community der Historikerinnen innerhalb und ausserhalb von Academia sind. Wir haben auch gemerkt, welche Themen und Angebote ankommen und welche nicht. Wie siehst du vor diesem Hintergrund die Entwicklungsmöglichkeiten des Historikerinnennetzwerkes?

Zoé: Ich sehe viele Möglichkeiten, und finde es auch genial, dass andere Frauen wahrscheinlich noch weitere Optionen sehen werden, die wir selbst zurzeit noch nicht im Blick haben. Was ich an der Idee des Netzwerks gut finde, ist die Flexibilität, wie auch du es betonst: Eigentlich geht es um das Netzwerken und das Zusammensein, der Rest ist offen. Wir haben auch vor kurzem eine kleine Umfrage bei unseren Mitgliedern gemacht, bei der herauskam, dass Vernetzung das erste Ziel unserer Mitglieder ist – diesbezüglich sind wir also auf der gleichen Linie! Derzeit setzen wir auf kleinere und grössere Events, damit Historikerinnen aus allen Berufsbranchen sich austauschen können. Wir versuchen zugleich bei diesen Events, wie übrigens auch bei diesem Blog, thematische Diskussionen anzubieten, die unsere Mitglieder interessieren und die woanders nicht unbedingt stattfinden.

Für die Zukunft erhoffe ich mir eben auch, dass wir Plattformen anbieten können, auf denen unsere Mitglieder auf einfache Weise selbst Diskussionen initiieren können. Bei unserer Retraite Anfang März haben wir dazu überlegt, eine „Unkonferenz“ zu organisieren, das heisst eine grössere Veranstaltung anzubieten, bei der Historikerinnen die Inhalte und Formate der Diskussion selbst bestimmen können (so wie beispielsweise die Unconference digital criticism, die im Oktober 2021 stattgefunden hat). Das ist ein grosser Plan und wir sind noch in der Anfangsphase, ich glaube aber, wir brauchen solche mittel- und langfristigen Visionen. Langfristig wünschen wir uns im Vorstand auch, dass wir an Sichtbarkeit und Anerkennung gewinnen, um auch als Kontaktadresse für vielfältige Projekte zu dienen und die Stimme der Historikerinnen in der community sowie in der Öffentlichkeit zu stärken.

Diese Ambitionen bedeuten aber auch eine Verantwortung für uns, möglichst offen, inklusiv und selbstreflexiv zu sein, um schädliche Machtverhältnisse nicht zu reproduzieren, wie sie sowohl in unserem Berufsfeld als auch in der Gesellschaft existieren. Möglichst offen für neue Mitglieder und Ansichten zu sein, ist sowieso zentral bei der langfristigen Entwicklung eines Vereins. Wir haben zudem auch bei der Historikerinnentagung und während unserer ersten 2 Jahre gesehen, dass der Übergang zwischen Generationen extrem wichtig und spannend ist. Ich freue mich also sehr auf neue Ideen und Anregungen, die hoffentlich gemeinsame Diskussionen ermöglichen werden!